Jedem, der sich professionell und wissenschaftsbasiert oder auch nur aus purer Faszination mit Waschbären beschäftigt, tun die vielen Fakenews, die im Umlauf sind, schon beinahe körperlich weh. Das anfängliche Staunen, mit welcher Ignoranz und Beharrlichkeit Jagdverbände, Politik und Medien die inzwischen breite Studienlage ausblenden, ist einer gewissen Müdigkeit gewichen.
Das Youtube-Video von Tierarzt Dr. Karim Montasser gibt einen sehr kurzweiligen und pointierten Überblick über den aktuellen „Kriegsschauplatz Waschbär“.
Irrtum!
Bis 2017 galten die Bären nach dem Bundesnaturschutzgesetz sogar als heimische Art, da sie sich „in freier Natur und ohne menschliche Hilfe über mehrere Generationen als Population erhalten“ haben. Dass die Bären auf der EU-Liste der invasiven Tier- und Pflanzenarten landeten, ist den Briten zu „verdanken“, die für ihre Insel eine nicht repräsentative Risikobewertung erstellt hatten. Deutschland hat damals im Übrigen gegen die Aufnahme der Bären auf die EU-Liste gestimmt.
Irrtum!
Die EU-Verordnung und das Bundesnaturschutzgesetz sehen ausdrücklich auch „nicht tödliche physikalische, chemische oder biologische Maßnahmen zur Beseitigung, Kontrolle oder Eindämmung einer Population“ vor (EU-VO Art 19, Abs. 2). Welche Maßnahme im Einzelfall ergriffen werden soll, liegt im Ermessen der Unteren Naturschutzbehörde als zuständiger Behörde, die nach den Grundsätzen der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit entscheiden muss (BNatSchG, § 40, Abs. 1).
Die EU-Kommission sagt ausdrücklich, dass gerade bei weit verbreiteten Arten wie dem Waschbären nicht-tödliche Maßnahmen wie etwa Kastrationsprogramme sinnvoll sind: Kastrierte Tiere vermehren sich nicht, besetzen aber weiter ihre Reviere und verhindern so den Nachzug von anderen Bären. Dass das funktioniert, haben die Italiener bereits vor einigen Jahren bewiesen, als sie durch flächendeckende Kastrationen von Nutrias (einer weiteren als invasiv geltenden Art) die Populationen um weit über die Hälfte dezimiert haben.
Irrtum!
Populationsökologisch hat sich gezeigt, dass die Bejagung die Populationsdichte nicht reduzieren wird. Denn Waschbären können – wie viele andere Wildtierarten auch – Verluste durch vermehrte Fortpflanzung ausgleichen. Man geht sogar davon aus, dass sie das Geschlecht ihrer Ungeborenen beeinflussen können (mehr Reproduktionsdruck = mehr weibliche Welpen).
Der Mensch sollte also wie so oft seine Finger aus dem Spiel lassen, denn die Natur reguliert sich selbst: Jeder Lebensraum lässt nur eine bestimmte Anzahl von Tieren zu (in natürlicher Umgebung etwa 1 bis 2 Bären je Hektar, in der Stadt 50 bis 150). Dann sind Nahrungsquellen und Rückzugsmöglichkeiten erschöpft und reduzieren Tierseuchen wie Staupe und Parvovirose die übergroßen Bestände ohnehin.
Irrtum!
Waschbären sind von Haus aus faule Allesfresser. Sie verhalten sich ausgesprochen opportunistisch, haben sich auf keine besondere Nahrung spezialisiert und nehmen das, was ohnehin im Überfluss vorhanden ist. Das heißt zum einen, dass sie keinem heimischen Räuber etwas wegfressen, und zum anderen, dass auch keine heimischen Beutetiere in Gefahr sind, flächendeckend von der Bildfläche zu verschwinden – das schaffen vielmehr wir Menschen mit intensiver Landwirtschaft, Flächenfraß und Umweltgiften.
Irrtum!
Wir Tierpfleger, die wir täglich mit den Bären im Kontakt sind und nicht mehr als die üblichen Hygienemaßnahmen befolgen, sind der beste Gegenbeweis! Vom Waschbärspulwurm, der so soft in den Zeitungen als Horrorszenario dargestellt wird, wurden bis heute in ganz Europa nachweislich gerade einmal vier Menschen befallen. Im Vergleich dazu fangen sich allein in Deutschland jedes Jahr etwa 1.000 Menschen den Hundespulwurm ein. Und gegen Staupe und Parvovirose – beides Viruserkrankungen, die auch unter Haustieren übertragen werden – kann und vor allem sollte jeder verantwortungsvolle Hunde- und Katzenbesitzer sein Tier ohnehin impfen.
Irrtum!
Wer schon mal vor einem Zimmer oder Dachboden gestanden hat, den Waschbären „auf links“ gedreht haben, tut sich sicher schwer, die Fassung zu wahren! Mit ihren geschickten Fingern, ihrer Intelligenz und Merkfähigkeit stellen Behältnisse, Katzenklappen, Schranktüren und Dachschindeln keine echten Hindernisse für die Bären dar. Alles, was sie in die Hände bekommen, wird untersucht, zerpflückt, zu Spielzeug oder „Nistmaterial“ verarbeitet.
Aber: Die Schäden, die durch Waschbären angerichtet werden, sind weit davon entfernt, volkswirtschaftlich relevante Ausmaße anzunehmen. Und ja: Sie sind auch durchaus in der Lage, eine lokale Krötenpopulation massiv zu dezimieren. Aber da sie alles fressen (mit Schwerpunkt auf veganer Ernährung) und insbesondere das, was reichlich vorhanden ist, stellen Waschbären nach heutigem wissenschaftlichem Kenntnisstand weder für seltene oder bedrohte noch für irgendeine andere heimische Tierart eine ernsthafte Bedrohung dar
Irrtum!
Das Gute ist: Waschbären sind pragmatisch, um nicht zu sagen faul. An Nahrung und Wohnraum bevorzugen sie das, was ohne große Anstrengung zu haben ist. Wenn das nicht oder nicht mehr gegeben sind, ziehen sie weiter.
Um den Waschbären das Leben ungemütlich zu machen und sie zum Aus- oder Umzug zu bewegen, genügen also oft einfache Mittel:
Wir werden uns von unserem Status als „Krone der Schöpfung“ (die wir gemäß der steigenden Anzahl aktueller wissenschaftlicher Veröffentlichungen ohnehin nie waren) verabschieden und uns auch mit dem Waschbären arrangieren müssen. Eine Modellrechnung geht davon aus, dass im Jahr 2061 rund 71 % der Fläche der Bundesrepublik Deutschland von Waschbären besiedelt sein wird. Höchste Zeit also, dass wir uns anpassen, den Umgang mit ihnen sowie die „Wahl der Waffen“ überdenken und endlich EU-konforme Kastrationsprogramme auf den Weg bringen!
Wer sich eingehend und fundiert informieren möchte, was man über Waschbären heute weiß und vor allem auch nicht weiß, dem sei die Veröffentlichung Der Nordamerikanische Waschbär in Deutschland – Hintergrund, Konfliktfelder & Managementmaßnahmen (2023) von Dr. Berit Annika und Dr. Frank-Uwe Michler (beide Dozenten für Wildbiologie und Wildtiermanagement an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde) und Dr. Francesco Dati empfohlen.